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Memorare
(nach Bernhard von Clairvaux)
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I

GEDENKE, Mutter allzugütig:
niemals war bekannt
dass jeglich Kind,
das Deine Hilfe sucht,
das Deine Kraft erfleht,
das einen Platz,
an deinem Tisch erbeten,
jemals wurde abgewiesen
oder unerhört gelassen,
einsam und verloren.

Voll Vertrauen atme ich. – 
Wie Christus einst, dein Kind,
entsagungsvoll, nimm mich zu Dir
und schlag’ Dein Herz in meine Brust,
dass meine Liebe nicht versage!
Schwach bin ich
und fürchte mich 
vor dieses Kreuzes Qualen.
Wenn wir auch unwissend weinen,
schmecken wir doch Seine Auferstehung.

Segensreiche Mutter, bitt’ für uns!
Amen.


II

Meine Mutter, meine Schwester – heilig Ihr:
Wie wird dies Kreuz mit uns geteilt? – 
denn wir, die wir Sein Freund uns nennen, 
sind verloren. Halten wir uns auch 
an jenen Fels, die Kirche,
Geh’n wir doch in Meeresfluten unter.
Meine Beine sind so schwach
und müde ist mein Herz;
voll Angst vor jener Wache, die Ihr haltet.

Meine Zunge zagt vor diesem Wort,
denn selber hab’ ich nicht die Kraft,
den Namen Dessen auszusprechen,
Der hier vor mir ist;
geschweige denn, die Hälfte seines Leids zu tragen.
Ihr tragt dennoch diese Last,
O Liebende, Geliebte dieses Baums,
mit ungezeugter Liebe – Heilig seid Ihr Drei.

Erhaltet uns!
Amen.


III

Wie wirst du halten mich,
wenn ich vom Kreuz genommen werde,
liege vaterlos und nackt?

Wie wirst du Blut und Schweiß
mir von der Stirne waschen? – 
Leben, Glieder und Gefühl geraubt,

verraten von den Freunden;
hier ein Dieb, dem Lob gebühret,
dort ein anderer, der Gott verhöhnt.

Wie willst verbinden du
die Wunden dieser Welt – 
und meine Hände, Füße, Haupt und Seite?

Oder meinen Übergang
von diesem Grab zum Paradies – 
wie willst du’s zahlen – wenn nicht Ihr

mit ihrem sanften Herzen?
Zuflucht! Beug’ der Liebe dich – 
und in der Prüfung denk’ an mich!

DENK’ AN MICH!
AMEN. AMEN. AMEN.


(Übersetzung von Klaus Miehling)

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